Liparis loeselii subsp. nemoralis

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Prato Carnico (I), 10. Juli 2013


Permanent werden neue Orchideentaxa beschrieben, insbesondere bei den Gattungen Ophrys und Epipactis. Erstaunlich eigentlich, sollte man doch meinen, dass irgendwann eine gewisse Sättigung erreicht ist und alle identifizierbaren Arten, Unterarten und Varietäten bekannt gemacht sind. Einerseits ist das manchmal ärgerlich, vor allem, wenn man es partout nicht nachvollziehen kann. Andererseits gehen so die Reiseziele niemals aus, auch nicht in Mitteleuropa und am Mittelmeer. Es gibt also immer was zu tun.

Wie dem auch sei, manchmal ist doch etwas Bemerkenswertes dabei. Wobei es meist nicht daran liegt, dass bestimmte "auffällige" Populationen ganz neu entdeckt wurden. Oft sind sie bereits in früheren Jahren aufgefallen und landeten in so manchem Fotoarchiv. In der Regel hat man sie dann dem nächstliegenden Taxon zugeordnet, manchmal mit einer ergänzenden Bemerkung. Wenn sich dann jemand des Problems ernsthafter annimmt und auch systematisch das Verbreitungsgebiet erkundet, kann daraus dann eine Erstveröffentlichung entstehen und ein neues Taxon ist geboren.

Ein Beispiel aus unseren Orchideenanfängen: Schon vor 25 Jahren hatten wir zu den orchideenmäßig besten Zeiten des Monte Argentario in unseren Reisebericht notiert: Ophrys fusca (spät- und kleinblütig) einerseits, und früh- und großblütig andererseits. Eine ganze Zeit später wurde daraus Ophrys hespera und Ophrys lucifera. Da wir insbesondere bei den Braunen Ragwurzen an so manchem Taxon zweifeln, heißen die genannten Unterarten bei uns Ophrys fusca subsp. funerea "hespera" und Ophrys fusca subsp. bilunulata "lucifera“.

Zurück zu unserer Orchidee des Monats. Erst im letzten Jahr hat eine anderes Taxon das Licht der Welt erblickt. Erstaunlicherweise ist es ein Vertreter aus einer Gattung, bei der man es in Europa nicht mehr vermutet hätte. Das Torf-Glanzkraut ist eigentlich seit 1817 bekannt. Bei uns in Mitteleuropa ist Liparis loeselii der einzige Vertreter der Gattung Liparis. Das nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie europaweit streng geschützte Torf-Glanzkraut besiedelt in Europa ausschließlich nasse, kalkhaltige Flachmoore, Hangquellmoore und Streuwiesen, zum Beispiel im Alpenvorland. Büsche oder Sträucher fehlen an diesen Vorkommensorten völlig. Umso erstaunter müssen Orchideenfreunde gewesen sein, als sie das Torfglanzkraut auch an einigen mehr oder weniger beschatteten Plätzen in einigen Voralpentälern Veneziens und des Friauls fanden. Ja sogar im frischen Fichtenwald stand sie herum, und das passte nun so ganz und gar nicht zum bisherigen Bild.

Grund genug jedenfalls, sich mit diesem Phänomen näher zu beschäftigen. Und da zeigte sich schnell, dass - abgesehen vom unterschiedlichen Standort - die Pflanzen dieser Populationen noch weitere durchgängige Merkmale zeigen, die sie von der Nominatform unterscheiden. Wir zitieren die Autoren Perazza, Decareli, Filippin, Bruna und Regattin aus der Erstbeschreibung im Journal Europäischer Orchideen 44 (3): 2012 mit dem Titel "Liparis loeselii subsp. nemoralis (Orchidaceae), un'orchidea nuova dall'Italia settentrionale". Da wären zum Beispiel die langgestielten, weichen, außen nach unten gebogenen Laubblätter mit am Rande oft gekräuselter Spreite. Und auch die Blüten passen nicht so recht ins Bild, das man gewöhnlicherweise von Liparis loeselii hat. So sind die Lippen größer, nur bis ungefähr zur Mitte rinnig, vorne flach und nach unten zurückgeschlagen. Die äußeren Sepalen stehen zudem in einem Winkel von 120-180 Grad auseinander und stehen nicht angenähert und/oder nahezu parallel unter der Lippe wie bei der Nominatform. Unsere Funktion "Taxa vergleichen" macht es übrigens ganz einfach, beide Taxa direkt gegenüberzustellen, machen Sie sich also selbst ein Bild. Dort finden Sie neben den fünf in dieser Beschreibung abgebildeten Pflanzen eine ganze Anzahl weiterer Bilder.

Alleine mit dem schattigen Wuchsort lässt sich diese Merkmalskombination jedenfalls nicht erklären. Wir hatten dieses Jahr Gelegenheit, eine der Populationen anzusehen und kommen zum Ergebnis, dass vermutlich der Rang einer Subspezies tatsächlich gerechtfertigt ist. Die eingeleiteten genetischen Untersuchungen werden zeigen, wie nahe verwandt beide Liparis-Taxa sind und ob gegebenenfalls schon kurz nach der Taufe eine Umbenennung angezeigt ist.

Wir wollen noch ein wenig aus der Zusammenfassung der oben genannten Veröffentlichung zitieren: Die neue Unterart wächst im Halbschatten regenreicher und luftfeuchter, häufig nebeliger Mischwälder mit vorwiegend Laubbäumen (Alnus incana, Corylus avellana und Salix sspp.) auf feuchten und gut drainierten Kalkschotterhängen auf Moos oder zersetztem Laubsubstrat; sie fehlt in angrenzenden flachen, sumpfig-moorigen Gebieten. Liparis loeselii subsp. nemoralis stellt ein (tridentinisch)-venezianisch-friulanisch endemisches Element dar, welches bisher an 8 Fundorten nachgewiesen werden konnte. Zwei Teilpopulationen mit je ca. 250 Individuen umfassen den Großteil der nachgewiesenen Pflanzen, eine Kleinpopulation ist durch Straßenbauarbeiten bereits zerstört worden.

Bleibt noch zu ergänzen, dass das trotz einheitlich grüner Blütenfarbe fotogene Taxon in normalen Jahren in der letzten Juniwoche in Blüte steht. In diesem Jahr (2013) war dies wegen des kühlen und regenreichen Frühlings mit 10-14 Tagen Verzug um den 4. Juli der Fall. Die manchmal bei ihr stehende Malaxis monophyllos jedenfalls ist da schon verblüht. Die Fundorte liegen zwischen 420 und 800 Metern Meereshöhe. Bei einer geschätzten Gesamtpflanzenzahl von rund 500 und dem extrem kleinen Verbreitungsgebiet müssen wir von einem gefährdeten Taxon ausgehen. Und was Hybriden betrifft müssen wir natürlich Fehlanzeige melden.

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Prato Carnico (I), 10. Juli 2013


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Prato Carnico (I), 10. Juli 2013