ORCHIDEEN EUROPAS

Farbanomalien

 

 

Orchis simiaZweifellos stellt die Hybridisierung bei den Orchideen einen besonders interessanten Aspekt dar. Weniger beachtet, aber durchaus ebenso interessant sind die sogenannten Farbanomalien. Das sind spontane und seltene Färbungen, die deutlich vom Normaltypus abweichen und nicht mehr innerhalb der für die betreffenden Art üblichen Variabilität liegen. Von solchen Farbanomalien sind zu 99% die Blüten betroffen. Dies ist nicht verwunderlich, sind doch gerade die Blüten durch unterschiedliche Farbstoffe oft auffällig gefärbt.

Der Grund für solche Farbanomalien ist meist genetischer Natur. Irgendwo in der Synthesekette für die Farbstoffe hat sich ein Fehler eingeschlichen, sodass entweder gar kein Farbstoff synthetisiert werden kann, oder nur bestimmte Farbstoffe, oder aber zu wenig von allem. In ganz seltenen Fällen sind die vegetativen Teile betroffen. Dann ist die Pflanze nicht in der Lage, Chlorophyll zu synthetisieren und Blätter und Stengel sind weißlich oder rosa gefärbt. Farbanomalien sind von vielen Arten bekannt und bei allen möglich. Oft heben sie sich von den "normal" gefärbten Exemplaren deutlich ab und fallen auf.

Die meisten Orchideenarten sind in Bezug auf die bestäubenden Insekten hochspezialisiert. Ein Erkennungsmerkmal für diese Insekten ist die Blütenfarbe. So nimmt es nicht Wunder, dass bei den außer der Reihe fallenden Exemplare die Fortpflanzung durch ausbleibende Bestäuber oft nicht mehr in vollem Umfange gewährleistet ist. Dies mag ein Grund dafür sein, weshalb Farbanomalien meist einzeln auftreten, obwohl sie eigentlich - im Gegensatz zu den meisten Hybriden - fertil sind.

Gymnadenia densifloraAm bekanntesten sind die sogenannten Vollalbinos. Das sind Pflanzen, die überhaupt keine Blütenfarbstoffe bilden können. Bei der Gattung Ophrys sind die Blütenlippen solche Albinos gelblich-grün und die Kelchblätter weiß. Bei den anderen Gattungen sind die ganzen Blüten meist reinweiß, ganz selten auch cremefarben. Beispiele hierfür sind Orchis purpurea, Gymnadenia densiflora und Ophrys splendida. Eine Abgrenzung von vereinzelt auftretenden Albinos als Varietät, wie von manchen Autoren vorgenommen (var. albiflora, alba, flavescens) ist wissenschaftlich nicht angebracht.

Auf der anderen Seite kommt auch sogenannte Hyperchromie, also eine Überpigmentierung vor. Bei diesen Pflanzen wird weit mehr Farbstoff als üblich synthetisiert. Während bei der Gattung Ophrys solche Fälle selten sind, gibt es innerhalb der Gattungen Orchis und Dactylorhiza immer wieder einmal solche Anomalien, meist bei den rotblühenden Arten. Beispiele hierfür sind Orchis mascula, Orchis purpurea und Ophrys tenthredinifera. Treten bestimmte Farbanomalien gehäuft und auch an verschiedenen Orten auf, werden sie von manchen Autoren als Subspezies mit eigenem Namen geführt. So beispielsweise bei der Gattung Anacamptis, wo insbesondere im Alpenraum Anacamptis pyramidalis Subspezies tanayensis mit intensiv dunkelrot gefärbten Blüten beschrieben wird. Interessanterweise treten auch andernorts sehr dunkelblütige Exemplare auf, so z.B. auf der schwäbischen Alb. Dabei wird ein Zusammenhang zwischen Kaltlufteinfluss und Intensität der Blütenfarbe vermutet. Je kälter der Standort desto dunkler. Die Mittelmeersippe von Anacamptis pyramidalis dagegen ist immer sehr hellblütig. Dort sind selten zu beobachtende dunkelblütige Exemplare Fehlfarben. Ein anderes Beispiel ist die Varietät „rubra" von Orchis italica, die sehr selten innerhalb der normal gefärbten Bestände des italienischen Knabenkrautes zu finden ist.

Orchis italica rubraZwischen Vollalbino und überpigmentierten Pflanzen gibt es noch eine ganze Reihe von Fehlfarben. Die wichtigsten seien vorgestellt. Da sind einmal die Pflanzen, die nur einen bestimmten Farbstoff nicht synthetisieren können. Beispiele hierfür sind Ophrys atrata, Ophrys sphegodes und Ophrys splendida, bei denen die Synthese des blauen Farbstoffes des Farbmals auf der Blütenlippe nicht mehr möglich ist, sodass das Mal weiß erscheint, während die anderen Blütenteile normal gefärbt sind. Bei anderen Exemplaren wiederum fehlt die Malzeichnung ganz. Beispiele sind Ophrys crabronifera und Orchis ustulata. Bei Arten der Gattung Ophrys können manchmal die üblicherweise rot oder rosa gefärbten Blütenblätter weiß oder grün sein. Bei der sehr konstanten Ophrys tenthredinifera beispielsweise kommen reinweiße Blütenblätter so selten vor, dass hier ebenfalls von einer Fehlfarbe gesprochen werden kann. Bei Ophrys holoserica hingegen sind Exemplare mit weißen Blüten durchaus im Rahmen der üblichen Variabilität. Hier sind grünhelmige Exemplare eine Rarität.

Epipactis helleborineAndere Pflanzen können nicht genügend Farbstoff synthetisieren, oder aber die Synthesekette ist unterbrochen, sodass nur Zwischenfarben gebildet werden. Bei rotblühenden Arten sind diese Exemplare rosablütig, wie beim Beispiel Orchis laxiflora. Bei der Gattung Ophrys sind die Blütenlippen solcher Pflanzen oft mehr oder weniger orangerot gefärbt, weil die sonst durch andere Farben überdeckten Carotinoide sichtbar werden. Beispiele hierfür sind Ophrys holoserica und Ophrys lutea. Die Übergänge zum Vollalbino sind fließend.

Einige weitere Beispiele für Fehlfarben finden Sie in der Auswahl. Ein seltenes Beispiel für eine Fehlfarbe im vegetativen Bereich ist die abgebildete Epipactis helleborine. Es gibt sogar Farbvarianten bei Hybriden, eine doppelte genetische Abartigkeit. Wenn es sich dabei noch um eine sowieso seltene Hybride handelt, wie beispielsweise zwischen Ophrys sphegodes und Ophrys fusca, schlägt jedes Orchideenliebhaberherz höher.

 

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